Hermann Hartenthaler, Deutsche Telekom Berkom GmbH
Stand: 1.7.1995
Neue multimediale Anwendungen und der ständig größer werdende Bandbreitenbedarf in LAN und WAN überfordern die herkömmlichen Netztechniken. Die ATM-Technik verspricht eine Lösung dieser Probleme. Inzwischen liegen erste praktische Erfahrungen über den Einsatz von ATM bei der Multimedia-Kommunikation z.B. im BALI-Netz (Berliner ATM LAN Interconnection) vor.
Die Anzahl der Arbeitsplätze, die mit PC oder Workstation ausgestattet sind, wächst rapide. Diese Arbeitsplätze werden nun auch immer häufiger miteinander vernetzt. Durch die ständig steigende Leistungsfähigkeit der Arbeitsplatzrechner und den Einsatz von verteilten Anwendungen werden auch die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Rechnernetze immer größer. Darüber hinaus wird bereits in etlichen Branchen an konkreten Strategien zum Einsatz von multimedialen Kommunikationsanwendungen gearbeitet, die die Produktivität am Arbeitsplatz erhöhen sollen. Diese multimedialen Anwendungen benötigen dann aber ihrerseits ganz neue Eigenschaften der zu verwendenden Netze und der eingesetzten Datentransportsysteme.
Darüber hinaus erfordert unsere arbeitsteilige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft immer häufiger Kommunikationsstrukturen, die ein Zusammenwirken von weltweit verteilten Arbeitsgruppen oder auch die intensive Kommunikation über Unternehmensgrenzen hinweg ermöglichen. Daraus ergeben sich auch für die Weitverkehrsnetze, seien es öffentliche oder globale private Unternehmensnetze, ganz neue Anforderungen an Durchsatz (Bandbreite nach Bedarf) oder unterstützte Dienstqualitäten.
Die Fortschritte in einer ganzen Reihe von Schlüsseltechnologien, wie zum Beispiel in der optischen Nachrichtentechnik oder in der Mikroelektronik, erlauben inzwischen die Realisierung immer leistungsfähigerer Netze im lokalen und im Weitverkehrsbereich, die den oben genannten Anforderungen gerecht werden. Aber die neuen Netztechnologien können sich nur dann etablieren, wenn ihre Einführung durch entsprechende weltweit anerkannte Standards und einen breiten Konsens der beteiligten Anwender- und Herstellergruppen getragen wird. Die ATM-Technik (Asynchronous Transfer Mode) ist hierfür ein Beispiel. Immer mehr Netzbetreiber, Hersteller und Anwender setzen auf die ATM-Technik als die Basis für eine einheitliche Netzplattform der Zukunft, die sowohl den Anforderungen der traditionellen Datenkommunikation als auch den Anforderungen für interaktive zwischenmenschliche Kommunikationsformen gerecht werden soll.
Kann ATM die in diese neue Technik gesetzten Erwartungen im konkreten Alltagsbetrieb erfüllen? Pilotprojekte zum Einsatz von ATM im lokalen Bereich und in Weitverkehrsnetzen wurden in den letzten beiden Jahren weltweit gestartet. Über erste Praxiserfahrungen in Deutschland und Europa wird im folgenden berichtet.
Der immer größere Bandbreitenbedarf in lokalen Netzen gekoppelt mit der Forderung aufkommender Multimediaanwendungen nach einer garantierten Dienstgüte stellt die herkömmlichen Techniken der lokalen Netze, die auf einem von allen angeschlossenen Netzteilnehmern gemeinsam genutzten Übertragungsmedium basieren, vor unlösbare Probleme und ist auch im Weitverkehrsbereich mit Techniken wie ISDN und DQDB nicht befriedigend zu lösen. Im LAN-Bereich gibt es daher einen starken Trend hin zu immer kleineren Netzsegmenten, zu einer sternorientierten Verkabelungsstruktur mit z.B. Switched-Ethernets. Dennoch haben solche Strukturen große Probleme mit der Anpassung an sich änderndes Verkehrsaufkommen.
Kennzeichen von ATM sind eine verbindungsorientierte Vermittlungstechnik mit einer sternförmigen Anbindung der Endsysteme an eine zentrale ATM-Vermittlung. Die zur Lösung der oben genannten Probleme herkömmlicher Netzarchitekturen benötigte Flexibilität wird durch eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Bandbreite erreicht. Dabei kann mit ATM eine gewünschte Dienstqualität (wie etwa die absolute Gröe von Verzögerungszeiten oder von Schwankungen von Verzögerungszeiten) für die gesamte Dauer einer Verbindung garantiert werden. Die Unabhängigkeit von ATM vom eingesetzten Übertragungsmedium (verschiedene Typen von Glasfaser- oder auch Kupferkabeln) erlaubt eine flexible Gestaltung der Verkabelungsinfrastruktur im tertiären Bereich. Bei der Vernetzung der ATM-Vermittlungen untereinander im Kernnetz können beliebige Topologien, von einer einfachen Kette bis hin zu einer physischen Vollvermaschung, zum Einsatz kommen.
Die ersten Anwendungen der ATM-Technik wurden vor allem im Umfeld von Universitäten und Forschungseinrichtungen realisiert. Sie haben die Nutzung von ATM bis hin zum Endgerät zum Ziel, das heißt die Vorteile von ATM sollen direkt für Anwendungen, wie etwa bei der Multimediakommunikation, nutzbar gemacht werden. Solche Entwicklungen wurden seit 1989 unter anderem im Berliner BERKOM-Projekt vorangetrieben.
In vielen industriellen Projekten beginnt man derzeit damit, ATM im Backbone als schnelle und flexible Transportinfrastruktur einzusetzen, beispielsweise um herkömmliche LAN miteinander zu vernetzen oder um ISDN TK-Anlagen über ATM miteinander zu verbinden. Der erheblich komplexere direkte Anschluß von Endgeräten an ATM ist in diesen Projekten meist erst später vorgesehen.
Zur Erprobung von ATM im Weitverkehrsbereich haben sehr viele Netzbetreiber weltweit erste Pilotprojekte gestartet. Sie sind nun dabei, ihre ATM-Inseln international miteinander zu verbinden. Darüber hinaus gibt es bei Netzbetreibern wie der Deutschen Telekom AG erste Überlegungen zum Beispiel den stetigen Zuwachs an ISDN-Verkehr nicht durch den Ausbau der ISDN-Infrastruktur aufzufangen, sondern gleich in eine leistungsfähigere ATM-Infrastruktur zu investieren. Auch über den Einsatz von ATM bis hin zu den einzelnen Haushalten wird in den ersten Video-on-Demand-Pilotprojekten weltweit sehr intensiv nachgedacht und geplant.
Der DFN-Verein plant zur Zeit den Aufbau eines nationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes, das auf ATM und 34 Mbit/s-Verbindungsleitungen basiert. Ziel ist es, den Forschungseinrichtungen in Deutschland auch zukünftig eine leistungsfähige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Welche Bedeutung ähnlichen strategischen Entscheidungen in anderen Ländern beigemessen wird, zeigen derzeit sehr deutlich die energisch vorangetriebenen Aktivitäten zum Aufbau einer nationalen Informationsinfrastruktur in den USA.
Zur Vorbereitung des Einsatzes von ATM in kommerziellen Anwendungsfeldern, wie zum Beispiel im Medizinbereich, im Druckgewerbe oder bei der Bürokommunikation, haben die Telekom-Tochter DeTeBerkom und die mit ihr verbundenen Projektpartner bereits 1993 damit begonnen, am Markt verfügbare ATM-Produkte einzukaufen und intensiv auf ihre Praxistauglichkeit hin zu untersuchen. Zusammen mit der TU Berlin (FSP-PV und TUBKOM) und dem Forschungsinstitut FOKUS der GMD wird in einem vom BMBF geförderten Projekt der DFN-Verein bei der Einführungsplanung von ATM für sein Hochgeschwindigkeitsnetz beraten.
Die ersten konkreten Einsatzerfahrungen mit kommerziell verfügbaren ATM-Produkten konnten auf verschiedenen Ausstellungen, Messen und Konferenzen gewonnen werden. Zur CeBIT'93 wurde ein homogener Verbund von ATM-Vermittlungen der Firma ForeSystems realisiert, wobei auch eine ATM-Weitverkehrsverbindung von Hannover zum Rechenzentrum der Universität Stuttgart geschaltet wurde. Die ATM-Zellen wurden dabei noch über eine VBN-Verbindung übertragen.
Zur Interop in Paris im Oktober 1993 konnte zum ersten Mal der Übergang von den ATM-Netzen in Berlin und Stuttgart zu dem auf DQDB basierenden MAN in Stuttgart demonstriert werden, das wiederum mit einem MAN der Telekom auf der Interop in Paris verbunden war. Der Übergang erfolgte hierbei mit Hilfe einer Workstation, die als IP-Router arbeitete.
Zur CeBIT'94 wurde dann die ATM-Vermittlung des nationalen ATM-Pilotprojektes
der Telekom von Siemens in Berlin in Betrieb genommen und über eine SDH-Übertragungsstrecke
mit dem Messegelände in Hannover verbunden. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch das
BALI-Netz in Berlin an das ATM-Pilotnetz angeschaltet. Das BALI-Netz bestand
damals bereits aus sechs ATM-Vermittlungen von drei verschiedenen Herstellern
und einigen direkten ATM-Workstations. Auf dem Messegelände in Hannover wurde
außerdem ein sehr heterogener Verbund von ATM-Produkten verschiedener Hersteller
in mehreren Messehallen zusammengeschaltet. Als Demonstrationsanwendung zwischen
Berlin und Hannover wurden die BERKOM-Teledienste "Multimedia-Collaboration"
und "Multimedia Mail" eingesetzt. Die wichtigste Erfahrung bestand
zweifellos darin, daß man für diese Anwendungen, die durchschnittlich eine Datenrate
von rund 1 bis 2 Mbit/s benötigen, eine ATM-Verbindung mit einer Spitzenbitrate
von rund 60 Mbit/s im Weitverkehrsnetz reservieren mußte. Dies lag daran, daß
die sendenden Workstations ihre Daten stoßweise, also ungeglättet, an das Netz
abgaben. Die Prüffunktionen am Eingang des Weitverkehrsnetzes messen jedoch
die mit dem Netzknoten vereinbarte Spitzenbitrate, die aus dem Abstand zweier
aufeinander folgenden Zellen berechnet wird, und verwerfen alle ATM-Zellen,
die früher als vereinbart auf eine vorausgehende Zelle folgen. Dies geschieht,
um das Weitverkehrsnetz auch vor kurzfristigen Überlastungen zu schützen. In
der Folge wurden dann zusammen mit den Herstellern der ATM-Adapterkarten Vorkehrungen
getroffen, um den ATM-Zellstrom bereits an der Quelle zu glätten und so allzugroße
Verkehrsspitzen zu vermeiden. Dieses sogenannte "Traffic Shaping"
ist für einen stabilen Betrieb von gröeren ATM-Netzen unabdingbar.
Im Sommer 1994 wurden dann weitere nationale ATM-Verbindungen während der Interop in Berlin und der BRIS-Konferenz in Hamburg realisiert und es wurde eine ATM-Verbindung zwischen der GMD in Birlinghoven bei Bonn und der GMD in Berlin aufgebaut.
Dann folgten im Herbst 1994 internationale ATM-Verbindungen von Berlin aus nach Japan zur ITU-Vollversammlung in Kyoto, Verbindungen im Rahmen der paneuropäischen ATM-Pilotversuche von Berlin nach Madrid, Brüssel, Paris, Oslo und Kopenhagen oder auch Testverbindungen von Berlin nach den USA. Ende Februar 1995 fand in Brüssel ein G7-Gipfeltreffen mit dem Thema "Zukünftige Informationsgesellschaft" statt. Anläßlich dieses Ereignisses und dann auch während der CeBIT' 95 wurde erstmals ein transatlantisches Unterseekabel zwischen Deutschland und Kanada mit einer Übertragungskapazität von 155 Mbit/s für ATM-Verbindungen genutzt.
Zur Durchführung dieser aufgeführten Erprobungsvorhaben wurden in Berlin weitere BERKOM-Projektpartner an BALI angebunden: Art+Com, die verschiedene Anwendungen im Bereich der Visualisierung und von Virtual Reality realisierten, das Rudolf Virchow Klinikum und das Deutsche Herzzentrum mit Anwendungen im Telemedizin-Bereich und ein Cray-Supercomputer am Konrad-Zuse-Zentrum (ZIB) der Technischen Universität Berlin. Dadurch ergibt sich mit Stand vom Mai 1995 die am Anfang des Dokumentes schematisch aufgeführte Netzkonfiguration des BALI-Verbundes.
An die ATM-Switche im BALI-Netz sind Workstations der Firmen Sun, Hewlett Packard, IBM und Digital Equipment sowie PCs über ATM-Adapterkarten verschiedener Hersteller direkt angeschlossen. Über Router und Hubs sind verschiedene lokale Netze der BALI-Partner auf Basis von Ethernet, FDDI oder X.25 an den ATM-Backbone angebunden. Die Kopplung zwischen den zentralen ATM-Komponenten erfolgt fast durchgängig auf Basis von SDH-Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit 155 Mbit/s. Die Workstations und PCs sind vorwiegend mit TAXI-Schnittstellen bei 100 Mbit/s angeschlossen. Derzeit wird auch die Nutzung von Twisted-Pair-Kupferkabeln im Tertiärbereich zum Anschluß von PCs an ATM-Switche erprobt. Neben den BALI zurechenbaren ATM-Komponenten, die der Erprobung von ATM und neuen auf ATM basierenden Diensten und Anwendungen dienen, betreiben die BALI-Partner auch noch weitere von BALI getrennte ATM-Netze für ihre eigene Infrastruktur, ihren eigenen Produktionsbetrieb.
ATM hat sich inzwischen zu einer flexiblen, stabil verfügbaren Infrastruktur für die anwendungsorientierten Erprobungsvorhaben im BERKOM-Programm entwickelt. Die noch offenen Interoperabilitätsprobleme zwischen Produkten verschiedener Hersteller und die in Teilbereichen noch nicht zufriedenstellende Konformität zu den Standards des ATM-Forums und der ITU sind aufgezeigt worden und sind Gegenstand intensiver Diskussionen mit den Herstellern der ATM-Produkte. Derzeit bauen die BALI Partner ATM-Testzentren auf, deren Dienste der interessierten Industrie und den Anwendern für deren Testbelange angeboten werden. Ziel ist es, die zukünftigen ATM-Produkte auf Interoperabilität untereinander und auf Konformität zu Standards zu prüfen oder konkrete anwendungsorientierte Testszenarien für nationale und internationale Anwendungsprojekte zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus wird auch ein Managementlabor zur Erprobung von neuen Konzepten zum Management von ATM-Netzen aufgebaut.
Auf Basis der bereits durchgeführten Erprobungs- und Testaktivitäten konnte eine Reihe von ersten Erkenntnissen über die ATM-Technik und ihre Anwendung gewonnen werden:
Neben dem Problem des anfangs nicht unterstützten "Traffic Shaping" ergab sich bei vielen Tests, daß nicht alle ATM-Komponenten den vollen Wertebereiche für die Nummern der virtuellen ATM-Verbindungen (VCI und VPI) unterstützen. Somit kann es manchmal Probleme bei der Auswahl entsprechender Werte geben, die von zwei miteinander zu verbindenden ATM-Einrichtungen übereinstimmend genutzt werden können. Die VCI- und VPI-Werte sind für die eindeutige Kennzeichnung einer virtuellen ATM-Verbindung auf einer Verbindungsleitung nötig. Üblicherweise unterstützt ein ATM-Gerät mehrere tausend solcher Verbindungen gleichzeitig.
Besonders beim Aufbau größerer Netze wirkt es sich derzeit noch als hinderlich aus, daß die ATM-Vermittlungen und die Adapterkarten bislang keine oder nur proprietäre Signalisierungsprotokolle zum Auf- und Abbau von ATM-Verbindungen unterstützen. Dadurch ist man gezwungen, alle Verbindungen über Managementfunktionen als reservierte Verbindungen einzurichten. Diese Managementfunktionen wiederum sind leider von Produkt zu Produkt noch sehr verschieden, so daß die Konfiguration einer ATM-Verbindung über mehrere ATM-Knoten verschiedener Hersteller hinweg sehr mühsam sein kann. Dies sollte sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1995 aber ändern, sobald Signalisierungsprotokolle an der UNI- und NNI-Schnittstelle verfügbar sein werden, die den Festlegungen des ATM-Forums entsprechen.
Ein weiteres noch offenes Problem ist es, daß es derzeit kein anerkanntes Transportsystem oberhalb der ATM-Protokollebenen gibt, das die neuen Eigenschaften eines ATM-Netzes für die Anwendungen auch tatsächlich nutzbar macht, d.h. als neue Netzdienstequalitäten zur Verfügung stellt. Das heute meist verwendete IP-Protokoll kann die Anforderungen, die zum Beispiel aus der Übertragung von Audio- und Videoinformationen resultieren, nur sehr eingeschränkt erfüllen. Deshalb arbeiten hier verschiedene Arbeitsgruppen am Entwurf neuer Transportsysteme. Für die BERKOM-Projekte wurde ein neues Transportsystem auf Basis von XTP und ST-II realisiert und in ATM-Netzen erprobt.
Um die Zusammenarbeit der existierenden ISDN-Infrastruktur mit ihren ISDN-TK-Anlagen, den ISDN-Endgeräten wie Telefon, Telefax und Bildfernsprecher, und den herkömmlichen ISDN-Diensten mit der neuen lokalen ATM-Infrastruktur und den neuen Multimedia-Telediensten zu erproben, wurde im BALI-Verbund eine ATM-Vermittlung von Siemens mit einer Hicom-ISDN-TK-Anlage dieses Herstellers gekoppelt. In diesem BERKOM-Projekt werden einige Interworking-Szenarien untersucht und prototypisch realisiert, um später einmal in der Lage zu sein, alle Kommunikationsnetze eines Unternehmens in ein Corporate Network integrieren zu können.
Ein anderes Problem, das aus der Nutzung von IP über ATM resultiert und bereits mittelfristig gelöst werden muß, ist die Harmonisierung des verbindungslosen IP-Protokolls mit dem verbindungsorientierten ATM-Netz. Obwohl diese Problematik in ähnlicher Form auch bei der Nutzung von IP in X.25- oder ISDN-Netzen besteht, haben sich für diese Netze jeweils deutlich verschiedene Lösungsstrategien entwickelt. Im ATM-Bereich seien hier die beiden miteinander nicht kompatiblen Ansätze der IETF Classical IP und des ATM-Forums LAN Emulation Service genannt. Solange hier keine stabilen, interoperablen Produkte verfügbar sind, bleibt in gröeren Netzen häufig nur die Nutzung statischer Tabellen zur Abbildung von IP-Adressen auf ATM-Adressen. Die Pflege dieser Tabellen ist im praktischen Einsatz sehr lästig und fehleranfällig.
Auf Basis der Internet-Transportdienste können in lokalen ATM-Netzen natürlich alle Dienste genutzt werden, die auch sonst in IP-Netzen üblich sind, wie beispielsweise ftp, telnet, WWW oder auch die mbone-Dienste. Vor allem das weltweit verteilte Informations- und Hypertextsystem WWW gewinnt durch die höhere Bandbreite in ATM-Netzen eine noch größere Attraktivität; aber leider sind erst sehr wenige WWW-Server über breitbandige Netzverbindungen erreichbar.
In den öffentlichen ATM-Weitverkehrsnetzen wird üblicherweise zumindest der ATM-Bearer-Service angeboten, der eine transparente Übertragung beliebiger ATM-Zellen erlaubt.
Im ATM-Netz der Deutschen Telekom wird darüber hinaus der verbindungslose Datex-M-Dienst und die Emulation konstant-bitratiger Verbindungen mit 2 Mbit/s (G.703/G.704) angeboten.
Für das deutsch-französische ATM-Netz ist zusätzlich auch noch ein Frame-Relay-Dienst über ATM vorgesehen.
In einigen Projekten, die das paneuropäische ATM-Verbundnetz nutzen, werden die in BERKOM-Projekten entwickelten Multimedia Teledienste "Multimedia Collaboration (MMC)" und "Multimedia Mail (MMM)" eingesetzt, um die Vorteile von ATM für solche multimedialen Anwendungen zu untersuchen. Die beiden Dienste MMC und MMM stehen auf verschiedenen Rechnerplattformen und unter vielen verschiedenen Betriebssystemen zur Verfügung. Dadurch ist eine breite Einsetzbarkeit auch in heterogenen Systemumgebungen gewährleistet. Prinzipiell können diese Dienste auch in herkömmlichen Netzen, wie Ethernet, FDDI oder auch in X.25-Netzen genutzt werden, aber durch die Eigenschaften dieser Netze kann es dann gegebenenfalls zu Qualitätseinschränkungen kommen.
Der Teledienst MMC integriert die zum verteilten Arbeiten notwendigen Kommunikationsdienste in den Arbeitsplatzrechner. Dadurch wird dem Benutzer die Möglichkeit des ad-hoc-Zusammenarbeitens mit räumlich entfernten Personen oder Personengruppen über Netze ermöglicht. Audio- und Videoverbindungen geben den Benutzern das Gefühl, an einem Tisch zu sitzen. Jede beliebige Anwendung, die auf einem an der Konferenz beteiligten Rechner installiert ist, kann in der Konferenz genutzt werden und wird von allen teilnehmenden Konferenzpartnern gesehen. Sie kann auch abwechselnd von diesen bedient werden.
Ist ein gleichzeitiges Zusammenarbeiten der Kommunikationspartner nicht möglich oder nicht gewünscht, so wird der Teledienst MMM eingesetzt. Dieser erweitert die bestehenden Möglichkeiten von Electronic-Mail um multimediale Anteile, die in einer MMM-Nachricht verschickt werden können. So können neben Text auch Sprachanmerkungen, Fotos oder auch Videofilme übermittelt werden. Die großen Datenvolumen, die beim Versand solcher multimedialer Nachrichten entstehen können, erfordern neue Transportstrategien und schnelle Netzverbindungen, um eine gute Dienstqualität garantieren zu können.
Erste eindrucksvolle Demonstrationen dieser Dienste unter Nutzung von ATM-Weitverkehrsverbindungen waren etwa anläßlich der Eröffnung des paneuropäischen ATM-Netzes zu sehen. Inzwischen werden diese Dienste in einer großen Zahl von Erprobungsprojekten in bestehende Arbeitsabläufe und Anwendungsszenarien integriert.
Sicherlich birgt der Einstieg in die ATM-Technik zum jetzigen Zeitpunkt auch für ambitionierte Anwender noch gewisse Risiken. Zum Beispiel ist der Produktzyklus erster ATM-Produkte noch sehr kurz, so daß mit häufigen Software-Updates oder auch mit dem Austausch von Hardware gerechnet werden muß. Auf der anderen Seite gewinnt man durch einen frühen Einstieg in diese Zukunftstechnik Erfahrungen und kann bereits sehr kurzfristig Vorteile für den Netzbetrieb verbuchen, die sich sicherlich auch in Wettbewerbsvorteilen für das Unternehmen niederschlagen werden.
Auf lange Sicht ist damit zu rechnen, daß sich ATM im Markt der lokalen Netze und auch der Weitverkehrsnetze durchsetzen wird, wenngleich die bestehenden Netztechniken noch für viele Jahre neben ATM bestehen werden. Realistische Alternativen zu ATM sind derzeit nicht in Sicht.
In den Labors wird bereits am nächsten Schritt gearbeitet: der konsequenten Einführung von ATM auch innerhalb eines Endsystems. Der Austausch der internen Bussysteme durch eine eingebaute ATM-Minivermittlung führt zu einer ganz neuen Endgeräte-Architektur, die ein erheblich flexibleres Design eines PC oder einer Workstation erlaubt. Bereits heute kann eine Workstation häufig schneller auf einen Hochleistungs-Dateiserver im Netz zugreifen als auf die eingebaute Festplatte. In der Konsequenz wird dies zu einer Auslagerung vieler Komponenten aus dem Endsystem in dedizierte Netzserver führen. Die Desintegration der Endgeräte steht bereits vor der Tür.
Wenn in einigen Jahren erst einmal ATM-Kameras, ATM-Mikrofone und ATM-Lautsprecher verfügbar sein werden, dann wird die Vision vom nahtlosen, multimedialen Kommunikationsverbund vom Schreibtisch bis zu interkontinentale Verbindungen auf Basis der ATM-Technik Wirklichkeit werden.